23. April 2018
Warum Prof. Hartmanns Buch: "Ihr kriegt den Arsch nicht hoch" zu kurz springt
Da kommen Berufseinsteiger ins Vorstellungsgespräch und fragen als erstes "Wie gehen Sie mit Überstunden um?" Darüber empört sich BWL-Professorin Evi Hartmann in ihrem Buch "Ihr krieget den Arsch nicht hoch". Zurecht? Rollt eine Generation Leistungsverweigerer unter den Berufseinsteigern auf uns zu?
Kennen wir nicht alle Geschichten von jungen Kollegen, die zwar nichts zum Unternehmen beitragen, pünktlichst an der Stechuhr stehen, aber sich immer über zu wenig Gehalt beschweren? Hören wir nicht alle in letzter Zeit immer öfter von Schülern, die in der Schule null mitarbeiten, und von ihren Eltern aber dabei noch vor den fordernden Lehrern beschützt werden? Wird uns von der aktuellen Generation der Berufseinsteiger ihre Leistung vorenthalten? Und der Zeitgeist ist schuld? Oder sollte man das differenzierter sehen? Ein Freund schickte mir den Link zu diesem Artikel im Handelsblatt: „Die Pseudo-Elite ist die schlimmste Kategorie der Leistungsverweigerer“. Ein Interview mit Professorin Evi Hartmann, und ich war erschüttert, warum ein renommiertes Handelsblatt so etwas promotet.
Unmotivierte Berufseinsteiger, eigentlich ein wichtiges Thema, dass viele meiner Kunden, viele Unternehmer und Chefs immer öfter beschäftigt. Und endlich ein Buch, das uns allen aus der Seele spricht! Oder?
Aber nein! Zu schade, dass sich die Professorin für Supply Chain Management viel zuwenig mit dem Gegenstand beschäftigt, über den sie da ein Buch schreibt.
Angefangen bei sich selber. Und ihre Erklärungsansätze sind genauso kurzsichtig und simplifizierend wie "die-Asylanten-sind-Schuld-an-unseren-Arbeitslosen"-Parolen. Und das Handelsblatt gibt ihr ein Forum. Wie schade.
Oder hat sie vielleicht einfach nur ein Buch zum Geldverdienen geschrieben? Dann muss das ja so sein. Manche hören so eine Botschaft einfach gerne, weils ihrer Meinung entspricht. Eine schlechte Analyse trägt aber am Ende nichts zu einer Verbesserung bei.
Meine Kommentare zum Interview:
1. Frau Professorin arbeitet selbst von 8.00 - 20.00 Uhr, wenn die Kinder im Bett sind, geht sie nochmal an den Schreibtisch. Wie vorbildlich. Oder? Mein Gesunder Menschenverstand schickt gerade eine Warnung ab...Sorry Frau Professor, für mich ist hier die Grenze des Vernünftigen schon bei weitem überschritten.
Ein deutliches Wort an alle Leser, dieses Artikels und des betreffenden Buches: Es gibt ganz selten Menschen, die haben genug Energie, um 12-14 Stunden jeden Tag zu arbeiten. Aber die große Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland gehört nicht dazu. Die allermeisten Mitarbeiter, die regelmäßig so viele Stunden arbeiten, befriedigen damit ein medizinisch psychiatrisch relevantes Bedürfnis (s.u.). Sie betreiben dabei Raubbau an ihrer Gesundheit - natürlich ohne es zu merken. Aber Frau Professor ist offenbar stolz auf sich und ihre "Leistungsfähigkeit". Jeder der so arbeitet, darf das natürlich selbst entscheiden. Aber es ist nun mal für die Allermeisten nicht gesund. Und es ist absolut nicht diese Art von Verhalten, das man guten Gewissens als Maßstab für andere Leute nehmen darf. Chefs haben eine Fürsorgepflicht für Ihre Mitarbeiter. Sie sollten Mitarbeiter, die regelmäßig so arbeiten, einen Therapeuten zur Seite stellen.
Professor Hartmann hat nach ihrer eigenen Aussage nichts von ihren eigenen Kindern. 5 Tage die Woche holt sie die Kinder aus dem Bett "frühstückt sie ab" (ihr eigener Wortlaut), bringt sie zum Bus, arbeitet dann bis 20:00 Uhr, bringt die Kinder ins Bett. Den Rest erledigt das Kindermädchen. Kann uns das egal sein? Nein, denn gerade da liegt ein gravierendes Problem. Leider beschäftigt sich die BWL-Professorin nicht im Geringsten mit der Frage, warum ihr ihre "ich-muss-14-Stunden-am-Tag-arbeiten-Haltung" wichtiger ist als ihre eigenen Kinder. Aber es wäre so wichtig, für sie, für ihre Kinder und für alle Chefs, die dieses Buch bestätigend nickend lesen.
Ein Psychologe hätte da Erklärungen: Leider sind wahnsinnig viele fleißige Frauen (nicht nur nach meinen persönlichen Erfahrungen, sondern durch psychiatrische Studien bestätigt) oft vernachlässigte Töchter von Alkoholikern, heftig prügelnden Vätern und Eltern, die wegen viel Arbeit nie Zuhause waren. Der Kampf um die fehlende Anerkennung des der Eltern (insbesondere des Vaters) macht viele Mädchen zu sogenannten "Vatertöchtern", die im Erwachsenleben durch ein übersteigertes Maß an Arbeitseinsatz die fehlende Anerkennung ihrer miesen Kindheit zu kompensieren versuchen. Aber es ist nie genug! Sie bekommen nie genug Anerkennung, also müssen sie immer noch mehr arbeiten. In der Folge verlieren diese Frauen ihre Beziehungen, ihre Kinder, ihre Gesundheit, ihr Leben. Dieser Zusammenhang ist ihnen natürlich nicht bewusst. Die Praxen von Psychiatern und Coaches sind voll von ihnen. Ich befürchte, Frau Professor gehört vielleicht auch bald dazu.
Auf der anderen Seite: Bin ich ein Arbeitgeber und suche fleißige Mitarbeiter, dann lohnt es sich bei Frauen mit so einer üblen Kindheit zu suchen. Fragen Sie danach im Vorstellungsgespräch. Der Arbeitseinsatz einer Vatertochter wird Sie glücklich machen. Wie, das war jetzt zynisch? Das hat einen üblen Nachgeschmack? Aber leider nur zu oft wahr. Ich habe mehrere solcher Vatertöchter im Coaching. Die Arbeitgeber lieben und schätzen ihren Einsatz und sind bereit hohe Beträge zu investieren, damit die Mädchen weiter so fleißig arbeiten können. So eine schlechte Kindheit ist nur leider keine Garantie.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin kein Sozialromantiker, der für die 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich kämpft. Ich liebe engagierte Mitarbeiter, die sich reinhängen und immer da sind, wenn man sie braucht. Ab und zu ein bisschen Heldentum und eine paar Nächte durchgearbeitet um die Firma zu retten, das haben wir alle schon gemacht. Und das ist auch gut so. Das stärkt auch den Teamgeist. Aber 14-Studen Arbeit regelmäßig fast jeden Tag, ist die Art zwanghafter "Heldentum", die der erfolgreiche Autobauer Toyota als Muda, "Verschwendung aus Unvernunft" gebranntmarkt hat. Und Verschwendung gilt es zu eliminieren, oder?
Mal ehrlich liebe Unternehmer: Solche Arbeitnehmer lieben wir alle, aber ist das ein Lebens-Modell, das wir unseren Kindern wünschen? "Wenn du in den Beruf einsteigst, dann gib ordentlich Gas. Frag bloß nicht nach Überstundenausgleich, nicht nach Pausen, frag nicht nach Urlaub, schon gar nicht nach Work-Life-Balance. Bring ohne kritische Nachfrage 150% deiner naturgegebenen Leistungsfähigkeit. Vernachlässige deine Kinder, deinen Partner. Schaff dir sicherheitshalber gar nicht erst eine Familie an, keine Hobbys, keine Haustiere! Wenn du der Gesellschaft dann gegeben hast, was ihr zusteht, deine ersten 20-30 Berufsjahre geopfert hast, und hattest immer noch keinen Herzinfarkt, naja, vielleicht bekommst du dann einen ruhigen Chefposten. Dann steht dir vielleicht zu, über dein Leben nachzudenken (und endlich festzustellen, dass du es verpasst hast)". Entschuldigung, für meine Kinder will ich das nicht.
Was mir jedenfalls im Interview deutlich wurde: Mal wieder schließt jemand von sich auf andere. Und das mit einer undifferenzierten und völlig unkritischen Haltung zu sich selbst. "Was ich mache ist normal und richtig, wer anders handelt, ist offensichtlich falsch." Liebe Unternehmer, fragen Sie sich selbst, in wie weit es ethisch einwandfrei ist, die Pathologie von Mitarbeitern auszunutzen.
2. Frau Professorin, wo bleibt Ihre Verantwortung? Sie legen sich 4 Kinder zu, nur um diese dann 12 Stunden des Tages von fremden Leuten erziehen zu lassen?
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Obwohl ich in Bayern wohne, bin ich absolut kein Verfechter von "Frauen sollen keine Karriere machen, sie gehören zu den Kindern nach Hause". Keinesfalls. Aber ich habe auch noch so viel Rest-Vernunft, dass ich glaube, dass Kinder ihre Eltern brauchen. Sofern Eltern es irgendwei organisiert bekommen, dass die Kinder etwas von ihren Eltern haben, darf selbstverständlich jeder Karriere machen. Aber Kinder auf die Welt bringen, und sie dann irgendwo abzustellen, das stößt mich ab. Warum tun Sie Ihren Kindern das an? Man kann jetzt schon prognostizieren, dass diese Kinder auch nicht ohne psychische Schäden aufwachsen. Manche von ihnen werden "tolle fleißige Vatertöchter" werden. Glückwunsch. Manche werden andere Beschwerden davontragen (zur Auswahl stehen ansonsten noch Magersucht, Borderliner, Burnout, usw...).
Genauso verurteile ich Arbeitgeber, die so eine Ignoranz von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwarten. Zu Recht erwarten Arbeitgeber von ihren Mitarbeitern Loyalität. Der Mitarbeiter muss zu 100% da sein, wenn er gebraucht wird. OK, verständlich. Aber Loyalität ist keine Einbahnstraße. Diese Loyalität steht nur Arbeitgebern zu, die auch hinter ihren Mitarbeitern stehen und deren Gesundheit und Familie unterstützen. Es gibt Chefs denen das Familienleben ihrer Mitarbeiter egal ist. Aber diese haben m.E. keinerlei Loyalität ihrer Mitarbeiter verdient.
3. Frau Professorin schert eine ganze Generation über einen Kamm. Ich dachte in einer wissenschaftlichen Laufbahn lernt man, dass die Einzelfälle, die Frau Professorin begegnen, nicht verallgemeinert werden können. Ich kann mir zwar vorstellen, dass es heute mehr Berufseinsteiger mit zweifelhafter Leistungsmotivation gibt (eine Kindheit mit bedingungsloser Liebe, selbst wenn das Balg stinkfaul war...dann hat halt Papas Rechtsanwalt die Versetzung durchgepaukt). Die Lehrer beschweren sich seit Jahren drüber. Aber ich treffe auch heute noch genügend leistungsbereite Mitarbeiter unter den jungen Leuten. Die waren allerdings schon immer selten, noch nie die Mehrheit. Aber sie sind m.E. heute auch nicht seltener (bis mir eine Studie das Gegenteil beweist) als früher (Naja, früher war natürlich alles besser). Aber kein Gedanke von Frau Professor darüber, wie wir unsere Kinder erziehen... der Zeitgeist sei an allem schuld.
4. Apropos Zeitgeist: Frau Professorin beschäftigt sich auch nicht genügend mit dem Zeitgeist. Es gibt ein wissenschaftliches Modell zur gesellschaftlichen Entwicklung von
Graves, das zeigt tatsächlich, dass sich Frau Professor mit ihrer Weltsicht deutlich in der Vergangenheit befindet. Gerade mal eine Kultur-Entwicklungsstufe über "Befehl-und-Gehorsam" und "Ober-sticht-Unter" (also zwischen 1700 und 1850). Die am höchsten entwickelten Kulturen haben auch "Work-Life-Balance" schon längst hinter sich gelassen. Auf der bisher höchsten Entwicklungsstufe erkennt eine Kultur, dass alles zusammengehört. Die Entwicklung meiner Wirtschaft hat Einfluss auf alle anderen Länder. Die Produktion und der Ressourcenverbrauch hat Einfluss auf die Umwelt und das Überleben des Planeten. Die Zukunft des Planeten hat Einfluss auf die Zukunft unserer Arbeit. Und damit hat meine Arbeit/Leistung immer auch Einfluss auf das Wohlergehen meiner nächsten Kollegen aber auch auf das Wohlergehen aller Menschen... und des Planeten. Alles hängt zusammen. Alles ist eins. Chefs und Mitarbeiter auf der höchsten kulturellen Entwicklungsstufe sehen das Ganze, sie sehen, dass die Welt verbessert werden kann/muss und finden darin ihren Antrieb. Insofern ist Orientierung an "Leistung" wieder mal zu kurzsichtig und längst überholt, liebe Professorin.
5. Frau Professorin Hartmann ignoriert total den wissenschaftlich untermauerten Fakt, dass VIEL Arbeit (14 Std.) nicht automatisch gute Arbeit ist. Es hat seinen Grund, dass clevere und erfolgreiche Unternehmen (z.B. Netflix) sich um Ihre Mitarbeiter kümmern, und dafür sorgen, dass die Mitarbeiter genügend Pausen machen, genügend Freizeit haben und genügend Urlaub machen (6000 EUR Prämie für 3 Wochen Urlaub am Stück ohne Emails mit dem Büro), denn nach 8 Stunden Arbeit steigt die Fehlerquote exponentiell an. Aber das gilt natürlich nicht für Frau Professorin (und Mitlesende sind sicher ebenfalls ausgeschlossen ;-)
Aber zum Schluss gabs doch noch ein paar vernünftige Ansichten von Frau Professor:
6. Der freizeit-orientierte Mitarbeiter kann lernen, dass Arbeit nicht zwangsläufig "schlecht" und Freizeit "gut" ist. Stimmt!
Genau das führt mich zu den Überzeugungen, die ich gerne propagiere.
Um zu lernen, dass Arbeit nicht das Böse ist, dazu muss der Mitarbeiter nachhaltig "erfahren" dass Arbeit gut tut (z.B.
Erfolgserlebnisse, Anerkennung, Accomplishment, Spaß, nette Kollegen und Chefs). Das schafft nicht jedes Unternehmen. Eher im Gegenteil. In vielen Unternehmen ist Arbeit = Schmerz, Folter und der Kontakt mit Chef und Kollegen macht krank. Aber dort ist das hier von Frau Professor verurteilte Paradigma gerade mehr als wahr und richtig.
Also, einigen wir uns darauf: eine vernünftige Unternehmens- und Führungskultur ist ein gutes wirksames Gegenmittel. Clevere Unternehmen schaffen Arbeitsbedingungen die zu den Menschen passen (
New Work), anstatt nach Menschen zu suchen, die in die vorherrschenden (krank machenden) Bedingungen passen.
7. Frau Professor sagt, es gibt so viele Probleme zu lösen. Richtig!
Und genau damit kann man gut Leistungsmotivation erzeugen. Ein Unternehmen braucht einen Purpose, einen reason-to-be, eine Mission, die größer ist, als Geld-verdienen. Wenn es darum geht, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, fragen auch die Berufseinsteiger von heute nicht mehr nach Freizeitausgleich. Wenn Mitarbeiter einen gemeinsamen Purpose, einen wichtigen Beitrag zur Welt, teilen, dann ist Arbeit plötzlich mehr als nur ein Job. Dann verschwimmt die Grenze zwischen Arbeit und dem Leben nach der Arbeit. Dann bereichert die Arbeit das Leben.
Fazit:
So gesehen, sind die jungen Menschen, die schon bei der Einstellung nach Work-Life-Balance fragen, gar nicht so dumm. Und wahrscheinlich psychisch gesünder als die Autorin dieses Buches.
Es liegt auch nicht an der "völlig verzogenen" Generation Y. Im Gegenteil. Es ist ein Kennzeichen, der Generation "Why", dass sie mehr von Arbeitgebern fordert, als dass diese ihnen irgendeinen Arbeitsplatz gibt. Die Generation Y und folgende Generationen fragen mehr nach dem Ganzen, nach dem Sinn. Viele wollen sich gerne für wichtige Aufgaben einsetzen. Aber mit Augenmaß. Und Sie wollen einfach nur gut behandelt werden. Das haben viele Unternehmen nur noch nicht gelernt. Das ist aber deshalb nicht zu verurteilen, sondern es ist gesund und weitsichtig.
Kluge Leute suchen die Schuld an der Misere nicht beim Zeitgeist, sondern schaffen Bedingungen, unter denen Menschen gerne und motiviert Leistung erbringen.
Abonnieren
Report absenden
My comments